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ZEIT ONLINE

Tiefsee: "Je tiefer wir sanken, desto sicherer fühlte ich mich"

Elf Kilometer tauchte die Forscherin Dawn Wright in die Tiefe des Marianengraben. In der Dunkelheit fand sie Schneckenfische, Zeugnisse der Geologie und eine Bierflasche.

Von Dr. Maria Mast und Claudia Vallentin

Aktualisiert am 22. Oktober 2022, 21:02 Uhr

Dr. Dawn Wright ist ist Geografin, Ozeanografin und Chief Scientist bei Esri (© Eric Laycock)

   

Das Challengertief im Marianengraben ist der tiefste Punkt der Erde – und weitestgehend unerforscht. Die Geografin und Ozeanografin Dawn Wright tauchte dort im Westpazifik zuletzt hinab, mehr als zehn Kilometer unter dem Meeresspiegel, um den tiefsten Grund unserer Ozeane zu kartieren. Als eine der ersten Frauen und die erste schwarze Person überhaupt, die den Marianengraben besuchte, will sie Vorbild sein. Ein Gespräch über unbekannte Tiefen, Diskriminierung in der Forschung und darüber, was man in einer winzigen Unterwasserkapsel unbedingt braucht.

ZEIT ONLINE: 10.919 Meter unter der Wasseroberfläche herrscht völlige Dunkelheit. Frau Wright, wie fühlt es sich an, am tiefsten Punkt der Erde zu sein?

Dawn Wright: Das Absinken ist ganz ruhig. Vier Stunden sinkt man einfach zum Grund des Ozeans. Wir sagen auch:  den Aufzug nehmen – weil es sich genauso anfühlt. Keine Unterbrechungen, kein Ruckeln, sondern einfach runter. Ein Flugzeugstart ist turbulenter, da ploppen die Ohren auch mal zu und man fühlt richtig, dass man die Höhe wechselt. Das war bei uns nicht so.

ZEIT ONLINE: In der Kapsel, in der Sie unterwegs waren, haben gerade einmal zwei Personen Platz und bei dem Druck in der Tiefe würde die Luft in einer Ein-Liter-Flasche auf die Größe einer Erbse komprimiert werden. Hatten Sie keine Angst?

Wright: Nein. Der Pilot Victor Vescovo war bereits 15 Mal im Challengertief und die Limiting Factor ist speziell dafür ausgelegt, diese großen Tiefen zu erreichen.

ZEIT ONLINE: Was ist an diesem Tiefseetauchboot so besonders?

Wright: Es ist kleiner und schneller als andere Tauchfahrzeuge. Im Innern sitzt man in einer fast perfekten Kugel aus Titan. Das ist das beste Material, um dem hohen Druck am Meeresboden standzuhalten. Bei anderen Tauchfahrzeugen führt der Druck dazu, dass die Elektronik versagt und das Tauchfahrzeug zusammenbricht. Etwas verunsichert hat mich, dass durch die Luke und durch die Kondensation an den Fenstern immer ein wenig Wasser in die Kapsel reinkommt. Bei maximalem Druck ist aber alles perfekt abgedichtet. Je tiefer wir sanken, desto sicherer fühlte ich mich.

 

ZEIT ONLINE: Wie haben Sie sich auf die Expedition vorbereitet?

Wright: Für die Tiefsee gibt es kein spezielles Training, wie etwa fürs All. Ich hatte einen Fitnesscoach, allein schon, um auf hoher See bestehen zu können. Ich bin 61 Jahre alt und an Bord des Forschungsschiffs, das uns in den Westpazifik gebracht hat, läuft man ständig Treppen hoch und runter und muss schwere Türen öffnen. Im Tiefseetauchboot selbst ist der beengte Raum, in dem man zehneinhalb Stunden sitzen muss, die Herausforderung. Dafür habe ich Yoga gemacht. Direkt vor der Expedition habe ich meine Flüssigkeitsaufnahme reduziert, denn in der Kapsel will man am besten gar nicht erst auf die Toilette müssen. Für den Notfall gab es aber einen Behelf in meinem Tauchanzug.

ZEIT ONLINE: Was haben Sie mit nach unten genommen?

Wright: Natürlich eine Kamera und eine Taschenlampe, um im U-Boot Notizen zu machen. Dicke Socken, weil es dort unten kalt ist, etwa vier Grad Celsius, und wir hatten nicht genug Strom, um das U-Boot zu heizen. Ich hatte auch ein Gedicht von meiner Freundin Sian Proctor über das Challengertief dabei. Sie war die erste schwarze Frau, die ein Raumschiff steuerte.

 

ZEIT ONLINE: Sie sind die fünfte Frau, die es zum Challengertief geschafft hat – und die erste schwarze Person. Welche Bedeutung hat das für Sie?

Wright: Ich bin in den Sechzigerjahren in den USA aufgewachsen, also in der Zeit der Bürgerrechtsbewegung, und habe viel Hass gegen People of Colour erlebt. Als Kind dachte ich, dass diese schrecklichen Probleme gelöst sein werden, wenn ich erwachsen bin. Aber wir scheinen heute in unserer Gesellschaft sogar noch gespaltener zu sein. Deshalb ist es für junge Menschen wichtig zu wissen, dass ihnen Wege offenstehen und andere Teile der Gesellschaft sie willkommen heißen. Für mich war es wichtig zu sehen, dass es andere gab, deren Beschreibung auch auf mich zutraf und die das geschafft hatten, was ich mir auch wünschte.

ZEIT ONLINE: Wer war Ihr Vorbild?

Wright: Vor allem Mae Jemison, die erste schwarze Frau, die für die Nasa ins All flog. Bevor ich Ozeanografin werden wollte, wollte ich Astronautin werden. Ich hoffe, dass meine Expedition ins Challengertief Mädchen und Jungs inspiriert und ihnen zeigt, dass es möglich ist, Meeresforscherin zu werden, unabhängig von Hintergrund, Geschlecht oder Hautfarbe.

ZEIT ONLINE: Unten, im Marianengraben zwischen den zwei Erdplatten, die dort aufeinander treffen, hatten Sie dann zweieinhalb Stunden Zeit. Was haben Sie entdeckt?

Wright: Als Geologin sind mir sofort die riesigen Haufen der kantigen Gesteinsbrocken aufgefallen. Nicht rund, wie man es erwarten würde, wenn die Steine von weiter weg dorthin transportiert worden wären, sondern eckig. Ich vermute, dass diese Bruchstücke entstanden sind, weil die tektonische Platte des Pazifiks an diesem Ort in die Erde hineingezogen und dabei zerbrochen wurde. Einen solchen Beweis für die Plattentektonik und die Bewegung der Erdkruste hatte ich noch nie vorher gesehen. Wir haben aber auch eine Bierflasche gefunden. Alle haben gefragt, ob es ein Heineken war oder ein Becks.

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Claudia Vallentin ist selbst Geologin und fasziniert von der Tiefsee.

 

 

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