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Dieser Titan braucht keine weißen Turnschuhe

Jack Dangermond ist einer der dienstältesten Chefs in der schnelllebigen Techbranche, seit über 50 Jahren steht er an der Spitze eines heimlichen Milliardenimperiums. Er macht vieles anders als Elon Musk oder Mark Zuckerberg - und seine Geschichte belegt, warum es nicht nur Genialität, sondern auch Bescheidenheit für den echten Erfolg braucht.

   

Wirtschaftwoche, Nr. 46, Seite 86

Jack Dangermond hat sich sein Büro gleich neben dem gläsernen Haupteingang zum Firmencampus eingerichtet - und macht nebenbei den Pförtner. Ausgerechnet er, der dieses Unternehmen erschaffen hat. Die Gebäude, in denen sonst Tausende Menschen arbeiten, stehen wegen der Coronapandemie seit anderthalb Jahren leer.  Dangermond aber, 76 Jahre alt, hält nichts vom Homeoffice. Jeden Tag fährt er mit seinem schlichten Ford-SUV zur Arbeit.

Liegt darin also das Geheimnis eines beständigen Erfolgs? Im Fleiß der täglichen Routinen? In Pragmatismus und einem Mangel an Eitelkeit, der davor schützt, sich selbst und seine Leistungen allzu wichtig zu nehmen - und den Wandel und mögliche Wettbewerber zu unterschätzen? Dies zeichnet Jack Dangermond aus und hebt ihn zugleich ab von den schillernden Techgrößen im Silicon Valley. Seit mehr als 50 Jahren führt er Esri - und dürfte damit einer der amtsältesten Chefs eines Technologieunternehmens sein. Eine feste Größe in einer sich schnell wandelnden Branche. Bill Gates ging noch zur Schule, Jeff Bezos war gerade mal fünf Jahre alt und Elon Musk noch nicht einmal geboren, als Dangermond im Jahr 1969 mit seiner Frau Laura für ihre frisch gegründete Firma das erste Projekt an Land zog: einen Park in San Diego am Computer planen.



ERWECKUNG IM COMPUTERRAUM

Esri ist eines der einflussreichsten und zugleich unbekanntesten Softwareimperien der Welt. Obwohl es ironischerweise gerade darauf spezialisiert ist, Dinge sichtbar zu machen. Seine Werkzeuge befördern Daten aus Tabellen oder Dokumenten in die zweite oder gar dritte Dimension, stellen sie auf interaktiven Karten dar und zeigen Zusammenhänge: wie Dürre die Landschaft versteppt, wie die Wälder zurückgehen, wie der Meeresspiegel steigt, aber auch welche Routen Kurierdienste am besten nehmen sollten. An 350 000 Kunden, darunter Regierungen, Behörden, Universitäten und Unternehmen, vermarktet Esri seine Dienste. Die Firma macht im Jahr knapp zwei Milliarden Dollar Umsatz, beschäftigt weltweit 12 000 Mitarbeiter.

"Esri ist mit weitem Abstand Marktführer", sagt Florian Güldner, Geschäftsführer des Beratungsunternehmens ARC Advisory Group Europe, "Dangermond war seiner Zeit immer weit voraus."

Manche meinen, eine Gegend forme die dort lebenden Menschen. Es wäre eine Erklärung für Dangermonds unprätentiöse Art: Die kleine Gemeinde Redlands, auf halbem Weg zwischen Los Angeles und Palm Springs, ist Dangermonds Geburtsort und deswegen auch der Sitz von Esri. Es ist, freundlich formuliert, nicht gerade der Nabel der Welt. Ihren Namen hat die Stadt von ihrem rötlich gefärbten Ackerland. "Meine Eltern hatten in Redlands eine Gärtnerei, ich bin als Landschaftsgärtner ausgebildet", erzählt Dangermond. Den parkähnlichen Campus seines Unternehmens hat er selbst geplant. Das Silicon Valley liegt sieben Autostunden weiter nördlich, nicht nur geografisch weit entfernt.

Mitte 20 war Dangermond, als er in Harvard studierte und im dortigen Computerraum sah, wie Rechner das Erstellen von Karten verändern würden, was sich plötzlich darstellen ließ und besser entwickeln ließe - vor allem bei der Landschaftsplanung. "Als ich das erkannte, habe ich die ganze Nacht nicht schlafen können, und diese Leidenschaft hat mich bis heute nicht losgelassen", sagt er. Deshalb arbeitet er noch mit Mitte 70 jeden Tag und will so lange weitermachen, wie es seine Gesundheit erlaubt.

Schon rein äußerlich erinnert er eher an einen Wissenschaftler als an einen Unternehmer: ein großer, drahtiger Mann, mit wachen Augen hinter der runden Brille. Er gestikuliert weit ausladend, wenn er etwas beschreibt. Häufig formt er seine Hände wie eine Kugel, als ob er die Welt in ihnen hält. Und vergleicht man Dangermond mit dem legendären Investor Warren Buffet, der immerhin fast genauso lange an der Spitze seiner Beteiligungsgesellschaft Berkshire Hathaway steht, zieht er die Augenbrauen hoch. "Hm, als CEO habe ich mich nie gesehen, eher als eine Art Anführer, der seine Leute motiviert und den Weg weist." Die Herausforderung seines Jobs, so sagt er, sei über Jahrzehnte gleich geblieben: "Gute Leute finden, behalten und neue Talente anziehen."

Als junger Gründer, so erinnert sich Dangermond, sei er von einem "erfahrenen, älteren Ingenieur" in die Geheimnisse erfolgreichen Unternehmertums eingeweiht worden: "Ein Drittel ist, die Arbeit zu vermarkten und verkaufen; ein Drittel, sie tatsächlich zu tun; und ein besonders wichtiges Drittel, dafür auch bezahlt zu werden." Dass gerade das Wichtigste alles andere als selbstverständlich ist, spürte Dangermond gleich im ersten Jahr: Er sicherte sich den Auftrag einer Behörde in Puerto Rico, ging viel in Vorleistung, schulte sogar die dortigen Mitarbeiter - und wartete sieben Monate darauf, dass die Rechnung bezahlt wurde.  Das Geld hält bei Esri seither Dangermonds Frau Laura zusammen, "die ein Talent dafür hat", wie der Unternehmer sagt.

Ganz frei von Eitelkeit ist auch Dangermond nicht. Und man sollte nicht den Fehler machen, seine unprätentiöse Art als mangelnde Ambitionen misszuverstehen.  Dass Esri trotz seiner so wichtigen Dienste einer breiteren Öffentlichkeit unbekannt ist, wurmt Dangermond. Andere Unternehmer wie Oracle-Gründer Larry Ellison und SAP-Gründer Hasso Plattner machten ihre Software auch dadurch bekannt, dass sie ihre Fehden selbst noch in großen Segelrennen austrugen - und so für die Schlagzeilen sorgten, die auch jene erreichten, die nicht nur die Unternehmens-IT steuern. Aber auf die Frage, ob solch ein schillernder Auftritt womöglich auch Esris Popularität steigern könnte, bricht Dangermond in schallendes Gelächter aus: "Nicht mein Stil." Sein Hobby ist dafür zu unspektakulär: "Ich entspanne mich beim Pflanzen von Bäumen."

 

KEIN VERTRAUEN ZU INVESTOREN

Dass sich Esri in der schnelllebigen Techbranche, geprägt durch Pleiten, Zusammenschlüsse und Verkäufe, seit über 50 Jahren als eigenständiges Unternehmen behauptet, erklärt sich auch mit Dangermonds Abneigung gegenüber fremden Geldgebern. Ihr Start-up gründeten er und seine Frau mit 1100 Dollar Ersparnis, seine Mutter gab zudem einen Kredit über 5000 Dollar. "Seitdem sind wir jedes Quartal gewachsen, sind schuldenfrei und können dadurch unser Schicksal selbst bestimmen", sagt er. Nachprüfen lässt sich das nicht, Esri ist ein privates Unternehmen. Ein Börsengang kam für das Paar nie infrage. In den Achtzigerjahren erwog Dangermond mal den Zusammenschluss mit einem größeren, weltweit bekannten Unternehmen. Die Verträge waren schon ausgehandelt. "Aber ich konnte die Kontrolle dann doch nicht abgeben." Die schwindelerregend hohen Summen, die Investoren derzeit vor allem im Silicon Valley in Unternehmen pumpen, haben Dangermond Vorurteile gegenüber Risikokapital bestärkt. Er frage sich, ob es dort wirklich nochdarum gehe, etwas Langfristiges zu schaffen.  "Oder nicht eher darum, dass die Investoren schnell Kasse machen können, ohne Rücksicht auf Kunden und Mitarbeiter."

Entlassungen hat es bei Esri in einem halben Jahrhundert nicht gegeben.  Wachstum hingegen schon - auch dank eines Franchisemodells. Esri entwickelt und unterhält die Produkte. Die Länderorganisationen außerhalb der USA sind in den Händen von exklusiven Vertriebspartnern, die auch Eigentümer sind. Dangermond wiederum hält Anteile an den Auslandsgesellschaften.

Das Geschäft in Deutschland und der Schweiz, etwa 100 Millionen Euro Umsatz im Jahr und 340 Mitarbeiter, liegt beispielsweise in der Hand von Jürgen Schomakers und zweier weiterer Eigentümer. Schomakers, der in den Achtzigerjahren Wirtschaftsgeografie studierte, hatte bei Siemens mit Esri zu tun und stieß vor zehn Jahren zum Unternehmen. Seinen Geschäftspartner Dangermond beschreibt er als einen der bodenständigsten Menschen, die er kenne. Und betont: "Es ist unglaublich, wie tief er in neuen Technologien steckt."

VR statt Atlas: Dangermond will seine Geodaten so aufbereiten,
dass sich Umweltschäden vorbeugen lässt

Angesprochen auf sein Vermögen, das "Forbes" immerhin auf neun Milliarden Euro schätzt, wiegelt Dangermond ab: "Ach, die gibt es doch nur in der Theorie.  Unser Vermögen steckt im Unternehmen, und das steht nicht zum Verkauf." Er hat noch viele Pläne. Dangermond geht durchs Foyer des Esri-Haupteingangs hinüber in eine Art Vorführraum, der mit riesigen Bildschirmen gefüllt ist. Ein Video zeigt dort seine Idee von modernen Geoinformationssystemen, einen Cyberspace, in dem Planer Straßenzüge virtuell verändern können, breitere Gehwege anlegen oder Bäume pflanzen. Schauen sie mit ihrer Datenbrille nach unten, können sie die unterirdischen Leitungen unter der Straße sehen; beim Blick nach oben verändert sich das Licht je nach Tageszeit. Dangermonds virtuelle Welt erinnert an Mark Zuckerbergs hochfliegende Vision vom Metaverse. Nur dass die beiden Milliardäre unterschiedliche Ziele haben. Zuckerberg will unterhalten, Dangermond aufklären.

"Wir können so Menschen in die Lage versetzen, ihre Umwelt besser zu verstehen und knappe Ressourcen effizienter einzusetzen", formuliert er seine Hoffnung.  Sein Unternehmen hat er schließlich schon Ende der Sechzigerjahre Environmental Systems Research Institute - also Institut für Umweltforschung - genannt.  Damals, als noch kaum jemand vom Klimawandel gesprochen hat. Dangermond tippt ein Display an, ruft eine Karte auf, die die aktuelle Dürre in Kalifornien zeigt -und dann die fortschreitende Trockenheit und Überschwemmungen in seiner Heimat über die nächsten Jahrzehnte simuliert.

 

SPENDEN FÜR DEN UMWELTSCHUTZ

Kalifornien ist der erste US-Bundesstaat, der sich der sogenannten 30 bei 30 Initiative verschrieben hat: Bis 2030 sollen 30 Prozent des Landes und der Gewässer Schutzgebiete sein. Dangermonds Simulation wird von der kalifornischen Regierung genutzt, um Gebiete festzulegen, bei denen besonders schnell gehandelt werden muss. Die Dangermonds steuern nicht nur die Software dazu bei. Vor drei Jahren haben sie bereits 165 Millionen Dollar an eine gemeinnützige Naturschutzorganisation gespendet, die Flächen kauft, damit diese nicht versiegelt werden. Damit wurde eine ehemalige, rund 10 000 Hektar große Ranch in der Nähe von Santa Barbara einem Hedgefonds abgekauft - direkt am Pazifik.  Sie ist jetzt Naturschutzgebiet. Im Umfeld des Esri-Chefs heißt es, dass das Paar noch weit mehr Gelder für solche Zwecke bereitstellt. Dangermond selbst will darüber nicht reden. Ganz uneitel eben.

Kinder hat das Paar keine. Die Dangermonds haben sich der von Bill Gates und Warren Buffett angestoßenen Initiative The Giving Pledge angeschlossen und somit versprochen, das Gros ihres Vermögens zu spenden. "Esri wird auch nach uns weiter existieren, das haben wir geregelt", sagt Dangermond. "Sein Beispiel zeigt, dass Idealismus und Erfolg alles andere als Widersprüche sind", meint Berater Güldner.

Autor: Matthias Hohensee
WirtschaftsWoche print: NR. 046 vom 12.11.2021 Seite 086

 

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